Den Männern ist’s doch egal, was die Weiber im Kopf haben, Hauptsache, sie haben einen geilen Arsch, sinniert der besorgte Bassgeiger und denkt dabei vor allem an seine 16jährige Tochter, der ein 20 Jähriger mit ‘diesem ganz und gar unwirklichem Zeug’ das Blut in Wallung bringe. Der besorgte Vater meint Bücher, aus dem sein Mädel ´überhimmlische Alfanzereien´ einsauge, die ihr wie ´spanische Mucken´ ins Blut liefen, so sagt es der von Goethes ´Werther´ imprägnierte Schiller in ´Kabale und Liebe´ über Luise und ihren Ferdinand. Im ´gottlosen Lesen´, in dem das süße Gift der Leselust pulsiere, sieht Luises Vater, der Bassgeiger, die Bedrohung der Unschuld.
Die Triebkräfte zum Lesen, Vergnügen und Neugier auf Welterklärung, und damit einhergehend der Gewinn von Unabhängigkeit wie bei Jane Austen, Urteilsbildung wie bei Mary Wollstonecraft und Fröhlichkeit wie von Gustave Flaubert beschrieben, ´die sich durch Viellesen einstellt’,
und dann noch, weil es alle wieder und wieder anführen: Identifikation, Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen, all dies kommt in den Abrichtungstextleinchen von PISA nicht vor.
Diese bundesweit verbreiteten Muster der Verblödung und Lähmung werden von eilfertigen Zulieferern für Überprüfungstexte übernommen, mit denen auf die finalen Texte vorbereitet werden soll.
Ein Beispiel muss genügen. Nach einem Text unterhalb der Armutsgrenze werden Fragen gestellt (wie sie auch in Romanen anzutreffen sind, oder etwa nicht?), wie z.B.: Wie verhält man sich richtig, wenn man einem Bären begegnet?
Das dürfte für einen 10jährigen Luxemburger lebenswichtig sein – oder etwa nicht? Es bekommt auch gleich vier Antworten vorformuliert, denn es könnte ja sein, dass sich der Einheimische kopfschüttelnd vom Grizzly abwendet. Von den schriftlich angebotenen Reaktionen: … ruhig bleiben und mit ihm reden, … ihn erschrecken und wegrennen, … ihn anfassen und mit ihm reden, … ruhig bleiben und ihn füttern, ist dann die die lebenserhaltende Verhaltensweise anzukreuzen (wie im richtigen Roman, oder etwa nicht?).
Liebschaften, verfolgte Frauen, unterlegene Jungs, verborgene Lusthäuschen, Herzensqualen, Nachtigallen im Gehölz, Tränen, Küsse in der Kabine …; enthält ein einziger PISA-Text auch nur ein Pfefferkörnchen von diesen – ja was – Erregungen, Provokationen, Verstörungen, Gelüsten, Aufmerksamkeiten im Lesen, um zu leben?
Das ist auch nicht gewollt. Alles, was unter dem Schirm von PISA in Sachen ´Lesekompetenz´ (was für ein inkompetentes Wort) zusammengehämmert wabert, verhindert Hinwendung zum Lesen, radiert Emotionen, Entrüstung, Begeisterung, lasterhaftes Vergnügen. Kreuze an! Setze ein!
Nicht wenige Studierende am ehemaligen I.S.E.R.P. müssten sich an Daniel Pennac erinnern, dessen ´Wie ein Roman´ ihnen von mehreren Dozenten in die aufnahmewilligen Gehirnareale gedrückt wurde .
Der erfahrene Pennac befand, dass Lesen im Sinne von Leistungsnachweisen alle inneren Antriebe zum Lesen den Garaus mache. Wie die Bassgeiger von PISA.