Hören Sie Stanford. Da gehen Sie doch vor Ehrfurcht in die Knie. Ein Literatur-Kollege aus dem Silicon Valley sitzt drei Studenten in einem Kafka-Seminar gegenüber. “Die Kids lesen nicht mehr,“ knurrt er mit fatalistischem Ton.
An Thomas Mann pirsche er sich über den Breloer Film heran, um dann einzelne Kapitel zum Lesen anzudienen. Halb resigniert nickt der Gast aus Europa:“ Bei mir kommen auch Unbelesene in ein Seminar zur klassischen Kinderliteratur, Lindgren ist Lintgren, Barrie? Meint er nicht Lassie? Alice – mit Jhonny Depp. Verquirlter Mix aus visuellen Fetzen, unhistorischem Prozentteil-Wissen, Schnipsel aus Kindheitserinnerungen.
Vielleicht gibt`s ein gemütliches, gefühlintensives Regenerationsseminar mit vielen Bildchen, denken einige Studierende; Disneys Peter Pan Gemansche, Burtons brutalo Alice und bald eine reformierte Pippi à la Kristina Schröder. Mein Gott!
Die Vorlesungen des Elite-Universitätskollegen in Kalifornien bestehen aus einem enormen Aufwand multimedialen Dauerbeschusses in Form von MOOCs, massive open online courses.
Sokratischer Dialog? Der Stanfordler lacht sich schlapp: “Wir schreiben Blogs, die man über Laptops kommentiert.“ Gesichtslose Kommunikation. Kommunikation?
Ich erzähle den Studierenden in Europa von dieser Begegnung. Verlegenheit ist spürbar. Die Gehirnwindungen simmern: Ich muss wohl hier viel lesen. Für mich ist die Situation günstig, ein fruchtbarer Bildungsmoment hätte C. gesagt.
“Kennen Sie James Heckman?“ frage ich. Erneut wird abwehrende Spannung sichtbar. “Müssen Sie nicht“, sage ich. Entspannung in den Gesichtern. “Der Mann ist Wirtschaftsprofessor an der Universität von Chicago, Nobelpreisträger für Ökonomie, der sich seit Jahren mit den positiven Auswirkungen frühhkindkicher Bildung beschäftigt, also mit den dynamischen Menschenwesen, für die Sie sich berufen fühlen, und der vor geraumer Zeit einen Artikel mit dem Titel “Fangt sie früh ein“ geschrieben hat. Heckman war derjenige, der das Perry-Preschool-Projekt entdeckte, in dem afro-amerikanische Kinder, sehr junge Kinder, aus Risikofamilien gefördert wurden.
Bildung und Gesundheit von Kindern sind durch deren Eltern und werden neuerdings mehr und mehr durch ErzieherInnen in frühkindlichen Einrichtungen bestimmt. Gute frühe Bildung, sagt Heckman, kann „Kindern im Schatten“, wie Obama formulierte, zu den intellektuellen Fähigkeiten soziale Stärken wie Bindung, Charakter, Disziplin und Selbstkontrolle auf den Weg bringen; eigentlich das, was später arbeitsplatzbasierende Programme verlangen.
Und damit ist zielgenau der Punkt getroffen, um den in Ländern wie z. B. Deutschland oder auch Luxembourg herumgetanzt wird. Kindertageseinrichtungen sprießen wie Pilze aus dem Boden oder werden lautstark gefordert.
Wie aber sieht das sprachliche und literarische Wissen bei den „Förderern“ oder „Betreuern“ aus und wie ist es um deren kommunikative und professionelle Fähigkeiten bestellt?
Geistige Armut von ErzieherInnen wird verheerendere Folgen haben als fehlende Kitaplätze. Bindung und Verständnis ist wichtiger als Geld, so Heckman; dies auf den Gebieten der Sprache und Literatur zu entwickeln ist fundamentale Erziehungsaufgabe. Und mit dem Kinderreim fängt es an.